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Gedenken 1946

Stimme aus der Dämmerung

Text 5

Josef Alsch junior

27. II. 1946

Du schreibst mir, dass du große, große Sehnsucht nach mir hast, sonst fühlte ich es instinktiv, wenn du an mich dachtest.

Wenn du aber fragen würdest, warum bist du heute gekommen? So wüsste ich nur zu erwidern: Ich musste zu dir kommen. Wie ich überhaupt hinausgekommen bin, kann ich nicht einmal sagen. Ich ging mit nachtwandlerischer Sicherheit einen vorgeschriebenen Weg, mein Wollen und Vorstellungsvermögen waren vollständig ausgeschalten. Ich handelte nicht nach meinem Willen, sondern wie ich ja jetzt bestimmt weiß, nach deinem. Ein Zeichen, dass meine Psyche vollkommen auf dich eingestellt ist. Ich fühle die Schwingungen deiner Seele und fühle fast köperlich deine Erlebnisse, trotzdem ich von dir körperlich und räumlich getrennt bin. Ich wüsste so viel zu berichten, allein es betraf hässliche Dinge. Ereignisse, die nicht uns betrafen, also nicht wundern, warum ich darüber nicht sprechen wollte. Eine vollendete Stimmung, ein so wohlabgestimmter Zweiklang, „eine Harmonie du und ich“.

Ich hoffe, es wird sich nichts in unserem so schönen Zueinanderfinden ändern, zumindest trachte ich keinen Misston Eingang finden zu lassen. Denn ich kann nicht leben, wenn mein Leben keinen Widerhall in einem Menschen findet, ich kann es nicht ertragen allein den schweren Weg zu gehen. Ich kann nicht ohne Liebe leben, denn ich bin nichts allein und Halbgott, wenn ich das Wunder einer Liebe erlebe.